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James Bond in der Waschstrasse

Ich zeichnete die Skizze zum Labyrinth dieser Seiten in Italien, genauer, in der Küche meiner Tante, wenige Minuten, nachdem ich sie gründlich eingesaut hatte (so ergeht es mir mit vielen Küchen). Der Fernseher, der wie jeder italienische Fernseher in der Küche stand (wenn der übliche italienische Fernseher auch nicht unbedingt in einer derart eingesauten Küche steht, schon gar nicht einer mit dem Stempel eines Deutschen), sendete zunächst Werbung, dann James Bond, dann Werbung; das spröde Licht der Lampe hätte sonst, über einer üblichen italienischen Mahlzeit, tatsächlich etwas Nettes gehabt, der Fernseher wäre noch lauter gewesen und doch nicht laut genug für die Stimmen meiner Tante, meines Onkels, meines Cousins, seiner Tochter, seiner Frau und meiner Großmutter, allein, ich saß verlassen da.
Als über der Skizze meine Überlegungen zu kreisen begannen, ein Gerüst erstellend, das Dr.Jekyll, Leibniz und die Zeitmaschine umfaßte, fuhr der Butler von James Bond in eine Waschstraße. Ich zog meine Gedanken zusammen, folgte dem Film zu gleicher Zeit, überlegte, wie ich Leibniz mit der Päpstin des Tarot-Spiels verknüpfen könnte, und zeichnete eine Linie von da nach dort,
darauf trat der Wagen wieder in Erscheinung. Am Steuer saß jetzt Grace Jones.
Für Grace Jones hatte ich noch keinen Platz in der Liste. Mir fiel ein, dass ich immer schon über die Päpstin als einer Pokerfigur hatte schreiben wollen, die die Oberflächen des Erlaubten wie mit einem Dietrich durchdrang. Mir gefiel die Struktur der Linien, die immer chaotischer wurden, ein Gestrüpp, für das man wohl einen Schlüssel brauchte, den ich, das wusste ich, dem Besucher meiner Seiten würde verweigern müssen.
Der Chauffeur saß auf der Hinterbank, sein Kopf hing nach hinten, die Augen geschlossen.
Ich hatte nie Lust, postmoderne, gar poststrukturalistische Texte zu schreiben, nichts geht mir über eine Handvoll sauberer leninistischer Sätze, aber sei’s drum, jetzt zeichnete ich Links.

„Genug vom Gesetz aus Adams Zeiten.
Gaul Geschichte, du hinkst...
Wolln die Schindmähre zu Schanden reiten.
Links!
Links!
Links!

(Majakowski, Linker Marsch)

Während ich am Tisch nun Linien über die Blätter zog, mit Blicken zum Geschirr, zur Flasche vor mir, dem trüb gewordnen Glas, den Scherben eines Tellers, der auf dem Boden zerschellt war, den Krümeln, den Käseresten, einem Bleistift, dem Radiergummi, den Diafilmrollen, - verlief auf dem Bildschirm jene unerhörte Begebenheit mit der Gültigkeit eines Spiels: der Eintritt in die Waschstraße, zwischen die Walzen, der Moment des Verschwindens, des Wiedererscheinens; das gleiche Auto wie zuvor, der gleiche helle Tag: doch ein tiefgreifender Wechsel des Personals, die Augen des Fahrers jetzt geschlossen, abgewandt.

Das Spiel verfolgte seine Regel, alles Überflüssige war ausgespart, es glich einem schmalen Kanal, durch den hindurch, wie in dem Funktionsschema einer Apparatur, die Handlung sich stülpte. War das noch Geschichte?

Die Eleganz des Chauffeurs in seinem Anzug, die Eleganz seines Todes, der ihn zwischen den Walzen ereilte, der rasche Austausch ohne sichtbare Bewegung – Grace Jones, die sich nichts anmerken ließ – die Mechanik einer Regel: der Schalter, der schlicht umgelegt wurde in die nächste Szenerie…

 

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