Wenn Handke die Straßen Berlins begeht, weiß er, daß Wahrhaftigkeitserfahrungen, wie sie oft in scheinbar 'ursprünglichen' Landschaften (Anden, Tibet, Indien) gefunden werden, hier nicht einfach herbeigezaubert werden können. Trotzdem beginnt gerade hier sein Rundumschlag tektonischer Weltgeschichte: er analysiert Erdschicht um Erdschicht der Drei-Flüsse-Stadt, obschon er weiß, daß am Ende der Asphalt das letzte Wort behält. Er könnte diesen Widerspruch unaufgelöst stehen lassen - doch seit der "Lehre der Sainte-Victoire" schimmert der Wunsch durch, ihn beiseitezuschieben und nicht mehr der GESCHICHTE, sondern der ERDGESCHICHTE Recht zu geben. So verlegt er in "Langsame Heimkehr" den Schauplatz endgültig nach Alaska, wo denn auch ungestörter von "Reich", "Erlösung", "Heil" geschwafelt werden kann.
Handke hält die Natur
für wahrhaftig.
Cézanne fordert, 'Klassiker zu werden durch die Natur'; den Begriff der
'Natur' meint er jedoch wahrscheinlich anders: im Sinne von 'Wirklichkeit',
'Anschauung'. Es handelt sich um den Gegensatz von Stil und Stillosigkeit, von
vollendeter Form und Bruchwerk, Unberechenbarkeit; hier steht das zeitlose Ideal
der Geschichtlichkeit der Materie gegenüber --- und behält letztere
nicht am Ende recht?
Die Moderne verläuft
auf der Linie dieses Widerspruchs: indem sie der Natur mit Industrienormen zu
Leibe rückt, denen Klassenverhältnisse und Geschichte widersprechen,
bringt sie Stilblüten und Chaos zum Vorschein, in welchen weder klassisches
Ideal noch romantische Naturliebe je befriedigt werden.
Die Wirklichkeit stellt das klassische Ideal nicht auf die Füße,
sondern widerspricht ihm; das klassische Ideal korrigiert
die Wirklichkeit nicht, sondern trennt sich von ihr - so zielt die Forderung
Cézannes auf das Aushalten dieses Widerspruchs, sodaß Handkes apostolische
Cézanne-Verehrung völlig an Cézanne vorbeigeht.
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