Nichts war ihm fremd. Während er zwischen den Tischen umherging, die Bretter
der anderen betrachtend, während die Spieler die Figuren von weißen
auf schwarze, von schwarzen auf weiße Felder schoben, leise, mit verrunzelten
Gesichtern voller Gedanken, blieb sein Blick klar, umherschweifend von einem
zum andern, die Flächen kurz erfassend, durchdringend, in die feinsten
Züge hinein. In Gedanken fügte er Linien zwischen die Bauern, Türme,
Läufer, bis die ganze Halle von Dreiecken und Geraden durchzogen war.
Das war aber nicht das Wichtigste von allem.
Er unterschied die Spieler nach Haltung, nach Kleidern, nach Schuhwerk, Armbanduhren,
Schmuck, dachte sich die Strukturen, nach denen all dies um die Gestalten
der Mitspieler drapiert war, löste alles auseinander, um es wieder und
neu zusammenzubauen. Er sah den Spieler, der vergessen hatte, sein Handy auszustellen,
programmiert auf eine nach Beethoven geführte Melodie; er sah die schwartendicken
Turnschuhsohlen einer Spielerin im hinteren Bereich, ihre weiten, silbernen
Jeans; den zerfurchten Haarschopf eines verstockten Jungen, der einem nickelbebrillten
Rentner gegenübersaß, welcher immerfort lächelte. Jeder für
sich brachte ein stilles, fragiles Gebilde auf, das nichts mit dem Lärm
von draußen zu tun hatte, Schritte eines Denkens, welches sich sonst,
in den heimischen vier Wänden eines jeden dieser Spieler,
auf
keiner Fläche zu spiegeln verstand.
War der Spieler, dem gerade eine atemberaubende Bresche des Königs durch
feindliche Reihen gelang, ein schüchterner Bankier? Verbrachte er nicht
seine Tage zwischen Alben von Phil Collins, traurig dekorierten Einbauregalen,
die er mit seiner stöckeligen Gattin eigenhändig zusammengebaut
hatte, mit ihm, dem talentierten Tüftler, als Kommandeur? Saß nicht
der disziplinierte Herr, der seine Bauern wie Uhrwerke zog, an anderen Tagen
leicht verwahrlost in der Leihbücherei über ein paar Zeitschriften,
um die preiswerte Dosensuppe, die er sich schweigend zubereitet hatte, in
Ruhe verdauen zu können?
Auch sah er einen jungen Spacelab-Aktivisten, der wie ein
Spiegel
alles wiedergab, was in den Illustrierten zur Debatte stand, die erheiterte
Miene noch wies Spuren auf vom neuesten Klatsch um angehende Stars. Seine
Freundin, mit der er Blicke tauschte, saß drei Plätze weiter, mit
lackierten Nägeln und einem Blick, der unter Lidschatten ganz versunken
war. Noch eine Frau: eine Krankenpflegerin, die ruhig über die geschachtelten
Quadrate blickte, noch leicht verkatert vom Abend zuvor, als sie auf einem
Iggy-Pop-Konzert sich ausgetobt hatte: das hatte sie dem Wachmann lachend
erzählt.
So werden sie leicht und fein wie die Silben, die man unablässig und
nonchalant miteinander vertauscht.