EN PLEIN AIR

Laß mich folgendes Bild malen: inmitten einer Landschaft aus Stromzählern, Verkehrsschildern, Plakatresten, Schaufenstern, Hydranten das Tableau einer romantischen Berglandschaft. Die Akribie, mit der ich sie male: als ob sie existierte. Das entbehrt nicht der Ironie: die absolute Verneinung der Realität, die vollkommene Beziehungslosigkeit, wenn nicht Irrelevanz zwischen mir und dem Bild: ein schmerzhaftes Gefühl der Absurdität.

Anders: nehmen wir etwas Charakteristisches für die Straße einer deutschen Stadt, den Stromzähler. Ihn abmalen, mit äußerster Detailtreue, nichts auslassend:

nicht den verdreckten Sockel, das graue, von einer Plastikkappe verdeckte Schlüsselloch, nicht den Warnhinweis, die Überreste der Plakate, die an ihn geklebt, dann wieder abgerissen wurden; nicht seine zahllosen Schrammen, das Moos unter seinen Fugen. Nichts verfremden. Dahinter die Straße, die Fahrzeuge auf der Fahrbahn, die vorbeifahren, hupen, stehenbleiben, sich in Parkplätze ordnen, ausfahren, überholen, bremsen, quietschen, schlittern; die Scherben, die allenthalben umherliegen, Papierfetzen, kleine Steine, Blech und Plastik, Kronkorken, Dosenverschlüsse, Zigarettenstummel. Ein diffuses graues oder ein hartes Sonnenlicht, oder Regen, der die Straße schwärzt, Regenreste, die trocknen und Flecken mit stumpfen Rändern hinterlassen. Stromkabel, ein geometrisches Netz von ihnen. Masten, Ampeln, Stangen, Ketten, Büsche, Grasflächen, Mörtel, Gullis. Wenn Bäume in der Nähe sind, auch Zweige oder Blätter, eventuell Kastanien.

Je vollkommener der gemalte Stromzähler dem echten ähnelte, desto mehr tilgte ich mich aus seiner Welt, desto radikaler löschte ich mich aus dem Plan meines Bildes. Die absolute Kontemplation. Das ist mit Wirklichkeit unvereinbar. Die Erfahrung, daß es diesen Kasten, den ich male, nicht zweimal geben kann, im Bild nicht, auch nicht im Spiegel.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

DER SCHAUSPIELER SCHWEIGT

Ein Schauspieler, der in einem Film eine Rolle verkörpert, übt eine mitunter passive Kunst aus, die nur darin zu bestehen scheint, engagiert zu werden. Von Humphrey Bogart wird erzählt, er sei einmal gebeten worden, auf den Balkon zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Er tat dies; ein Bild von wenigen Sekunden, das Feuer flammte auf, erlosch.

Was der Schauspieler verkörpert, ist ein Schnittpunkt aus Produktionsbedingungen, aus Regieanweisungen, Kostüm, unbedeutenden, knappen Sätzen und schlichten Vorgaben, die ihm die Selbstständigkeit seines 'Werks' absprechen könnten, würde man dieses 'Werk' im herkömmlichen Sinn verstehen. Er fügt sich einem übermächtigen Kollektiv und hat nichts als seinen Körper, mit dem er sich zur Geltung bringen kann.

Es gibt Schauspieler, die genau darin, sich zu fügen, es schaffen, dem im Plakat angekündigten Film einen zweiten, stillen, geheimen Film zu unterlegen, der als eigentliche Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer präsent bleibt, und in welchem sie Regie führen. Vollendete Relativität: Maßstab ist, wer sich als Subjekt begreift. Als Subjekt sich zu begreifen in einem Arbeitsprozeß, der ihn nur als Objekt will – als Schnittstelle für ein dünnes Drehbuch, als bloßes Gesicht, auf das ein Regisseur seine Meriten einschreiben kann – erfordert die Bereitschaft, den Widerspruch zu tragen, den passiven Status, zu dem man verdammt ist, zum eigentlichen Kunstwerk zu gestalten: das Gesicht zu beherrschen, es in höchster Aufmerksamkeit still und schlicht zu halten, bis nichts mehr daraus gekürzt werden kann und jedes Dekor verblasst, es sei denn, man streicht es ganz.

Was verkörpert der Schauspieler? Er verkörpert die Autonomie: die des Körpers, die des Gesichts als einer nicht reduzierbaren Tatsache. Er bringt den wichtigsten Aspekt eines Films auf den Punkt: die physische Realität einer Produktion, ohne die die Fiktion des Filmes nicht möglich ist.