TOPOGRAFIE DURCH GESCHICHTE

Gesetzt den Fall, man fände sich, ohne es zu wissen, auf dem Gelände der Stadt wieder, in welcher man dreißig Jahre gelebt hat (um das Wort Heimatstadt zu vermeiden), von welcher nur noch Grundrisse, Straßen existierten: wäre man imstande, sie wiederzuerkennen? Wären ihre Linien, Windungen, Anhebungen vertraut genug, dass man sie, während man sie abläuft, an den Schritten, die man in ihre Fläche setzt, an seiner eigenen Bewegung in ihr erkennen könnte?

Dann wäre die Stadt nur noch blanker Rahmen dessen, was man in Wahrheit von ihr kennt: sein Verhalten in ihr; dann wäre die Ansicht ihrer Fassaden lediglich Bestätigung des Vertrauten, Spiegel einer Topografie, die sich innen und außen deckt: sind doch die Straßen nur Zeugnis der Schritte, welche sie begründeten und breittraten, ehe Avenuen und Boulevards sich entrollten, ebenso, wie Konventionen aus dem Handeln der Massen folgten, ehe Konventionen das Handeln der Massen zu bestimmen begannen.

Man beachte, dass man einen Menschen an seiner Gangart erkennt, wenn man zu kurzsichtig ist, ihn sonst zu unterscheiden

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

DER SCHAUSPIELER SCHWEIGT

Ein Schauspieler, der in einem Film eine Rolle verkörpert, übt eine mitunter passive Kunst aus, die nur darin zu bestehen scheint, engagiert zu werden. Von Humphrey Bogart wird erzählt, er sei einmal gebeten worden, auf den Balkon zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Er tat dies; ein Bild von wenigen Sekunden, das Feuer flammte auf, erlosch.

Was der Schauspieler verkörpert, ist ein Schnittpunkt aus Produktionsbedingungen, aus Regieanweisungen, Kostüm, unbedeutenden, knappen Sätzen und schlichten Vorgaben, die ihm die Selbstständigkeit seines 'Werks' absprechen könnten, würde man dieses 'Werk' im herkömmlichen Sinn verstehen. Er fügt sich einem übermächtigen Kollektiv und hat nichts als seinen Körper, mit dem er sich zur Geltung bringen kann.

Es gibt Schauspieler, die genau darin, sich zu fügen, es schaffen, dem im Plakat angekündigten Film einen zweiten, stillen, geheimen Film zu unterlegen, der als eigentliche Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer präsent bleibt, und in welchem sie Regie führen. Vollendete Relativität: Maßstab ist, wer sich als Subjekt begreift. Als Subjekt sich zu begreifen in einem Arbeitsprozeß, der ihn nur als Objekt will – als Schnittstelle für ein dünnes Drehbuch, als bloßes Gesicht, auf das ein Regisseur seine Meriten einschreiben kann – erfordert die Bereitschaft, den Widerspruch zu tragen, den passiven Status, zu dem man verdammt ist, zum eigentlichen Kunstwerk zu gestalten: das Gesicht zu beherrschen, es in höchster Aufmerksamkeit still und schlicht zu halten, bis nichts mehr daraus gekürzt werden kann und jedes Dekor verblasst, es sei denn, man streicht es ganz.

Was verkörpert der Schauspieler? Er verkörpert die Autonomie: die des Körpers, die des Gesichts als einer nicht reduzierbaren Tatsache. Er bringt den wichtigsten Aspekt eines Films auf den Punkt: die physische Realität einer Produktion, ohne die die Fiktion des Filmes nicht möglich ist.