Wikipedia und die Gültigkeit des Wissens

Zweifellos ist Wikipedia ein faszinierendes Projekt. Im Gegensatz zum klassischen enzyklopädischen Wissen, das aus seinen revolutionären Anfängen heraus in eine kaum hinterfragte Institution des Bürgertums mutierte, deren konkrete Autorschaft sich gottgleich unter einem Siegel des Schweigens verbarg, bietet dieses Projekt die Möglichkeit, die demokratische Aufbereitung eines diskutierbaren Wissens zu bieten.

Jeder kann Artikel schreiben, jeder kann jeden Artikel bearbeiten, jeder kann jede Bearbeitung wieder zurücknehmen. Man kann als anonymer Gast in das komplizierte Gefüge einer Kurzdarstellung der Neutronenbombe eingreifen und behaupten, ihr Brennstoff bestünde aus Sahne. Eine Redaktion beschränkt sich darauf, Schwachstellen mitzuteilen, in Diskussionen, die jederzeit mit einem Artikel verlinkt sind.

Einiges ist möglich:

Jede Änderung bleibt dokumentiert und umkehrbar, das ist das Wichtigste und auch das Merkwürdigste. Denn daß hier unter der Oberfläche genormter Formulierungen eine Diskussion stattfindet, die die definierten Begriffe doch verändert, sich zugleich jegliche Veränderung via Mausklick einfach streichen läßt, steht in einem seltsamen Widerspruch zueinander.

Hier erweist sich die Schwäche der Wikipedia:

Ihre Oberfläche, die sich sachlich gibt, apodiktisch wie nur das Wort der Enzyklopädisten, versiegelt am Schluß: als hätte es niemals irgendeine Skepsis gegeben bezüglich ’objektiven‘ Wissens, das sich als Stand der Dinge formuliert. Wikipedia entfacht eine Diskussion über die Gültigkeit des Wissens (niemand wird hier „in den Autoritäten“ nachschlagen können), zugleich aber verheimlicht sie diese. Autoren, die einander deutlich widersprechen, verschwinden im seriösen Fluss der Texte, die gleichsam von niemand zu stammen scheinen als von der Wissenschaft selbst. Wo es darum gehen müßte, Brüche offenzulegen, Auseinandersetzungen, Veränderungen, fügt sich alles in die Geschliffenheit gefaßten, definitorischen Stils.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

DER SCHAUSPIELER SCHWEIGT

Ein Schauspieler, der in einem Film eine Rolle verkörpert, übt eine mitunter passive Kunst aus, die nur darin zu bestehen scheint, engagiert zu werden. Von Humphrey Bogart wird erzählt, er sei einmal gebeten worden, auf den Balkon zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Er tat dies; ein Bild von wenigen Sekunden, das Feuer flammte auf, erlosch.

Was der Schauspieler verkörpert, ist ein Schnittpunkt aus Produktionsbedingungen, aus Regieanweisungen, Kostüm, unbedeutenden, knappen Sätzen und schlichten Vorgaben, die ihm die Selbstständigkeit seines 'Werks' absprechen könnten, würde man dieses 'Werk' im herkömmlichen Sinn verstehen. Er fügt sich einem übermächtigen Kollektiv und hat nichts als seinen Körper, mit dem er sich zur Geltung bringen kann.

Es gibt Schauspieler, die genau darin, sich zu fügen, es schaffen, dem im Plakat angekündigten Film einen zweiten, stillen, geheimen Film zu unterlegen, der als eigentliche Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer präsent bleibt, und in welchem sie Regie führen. Vollendete Relativität: Maßstab ist, wer sich als Subjekt begreift. Als Subjekt sich zu begreifen in einem Arbeitsprozeß, der ihn nur als Objekt will – als Schnittstelle für ein dünnes Drehbuch, als bloßes Gesicht, auf das ein Regisseur seine Meriten einschreiben kann – erfordert die Bereitschaft, den Widerspruch zu tragen, den passiven Status, zu dem man verdammt ist, zum eigentlichen Kunstwerk zu gestalten: das Gesicht zu beherrschen, es in höchster Aufmerksamkeit still und schlicht zu halten, bis nichts mehr daraus gekürzt werden kann und jedes Dekor verblasst, es sei denn, man streicht es ganz.

Was verkörpert der Schauspieler? Er verkörpert die Autonomie: die des Körpers, die des Gesichts als einer nicht reduzierbaren Tatsache. Er bringt den wichtigsten Aspekt eines Films auf den Punkt: die physische Realität einer Produktion, ohne die die Fiktion des Filmes nicht möglich ist.