ESSEN WIE GOTT IN FRANKREICH

„Ich beruhige Madame de Flahaut, deren Mann den Kopf verloren hat.“

Georges Pernoud/Sabine Flaissier (Hg.), Die Französische Revolution in Augenzeugenberichten, Übersetzung: Hagen Thürnau), 3.Aufl. München 1980

Marie-Antoinette wird von vielen Augenzeugen beim Essen beschrieben. Der Abgesandte der Nationalversammlung Péton, der mit der königlichen Familie in der Kutsche sitzt, die sie unter wütenden Volksmassen nach Paris zurückbringen soll, berichtet:

„Dennoch benutzte die Königin einen Augenblick, um den Vorhang herabzulassen [ihn zu öffnen]. Sie aß gerade ein Taubenbein. Das Volk murrte, und Madame Elisabeth wollte eilig den Vorhang aufziehen. Aber die Königin widersetzte sich und sagte: 'Nein, man muß Charakter haben.' Sie paßte genau den Augenblick ab, als das Volk sich beruhigt hatte, und hob selber den Vorhang, um glauben zu machen, daß sie es nicht tat, weil man es verlangt hatte; sie warf den Knochen des Taubenbeins aus dem Menster und wiederholte ihre eigenen Worte: 'Man muß Charakter haben bis zum Ende'“

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

DER SCHAUSPIELER SCHWEIGT

Ein Schauspieler, der in einem Film eine Rolle verkörpert, übt eine mitunter passive Kunst aus, die nur darin zu bestehen scheint, engagiert zu werden. Von Humphrey Bogart wird erzählt, er sei einmal gebeten worden, auf den Balkon zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Er tat dies; ein Bild von wenigen Sekunden, das Feuer flammte auf, erlosch.

Was der Schauspieler verkörpert, ist ein Schnittpunkt aus Produktionsbedingungen, aus Regieanweisungen, Kostüm, unbedeutenden, knappen Sätzen und schlichten Vorgaben, die ihm die Selbstständigkeit seines 'Werks' absprechen könnten, würde man dieses 'Werk' im herkömmlichen Sinn verstehen. Er fügt sich einem übermächtigen Kollektiv und hat nichts als seinen Körper, mit dem er sich zur Geltung bringen kann.

Es gibt Schauspieler, die genau darin, sich zu fügen, es schaffen, dem im Plakat angekündigten Film einen zweiten, stillen, geheimen Film zu unterlegen, der als eigentliche Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer präsent bleibt, und in welchem sie Regie führen. Vollendete Relativität: Maßstab ist, wer sich als Subjekt begreift. Als Subjekt sich zu begreifen in einem Arbeitsprozeß, der ihn nur als Objekt will – als Schnittstelle für ein dünnes Drehbuch, als bloßes Gesicht, auf das ein Regisseur seine Meriten einschreiben kann – erfordert die Bereitschaft, den Widerspruch zu tragen, den passiven Status, zu dem man verdammt ist, zum eigentlichen Kunstwerk zu gestalten: das Gesicht zu beherrschen, es in höchster Aufmerksamkeit still und schlicht zu halten, bis nichts mehr daraus gekürzt werden kann und jedes Dekor verblasst, es sei denn, man streicht es ganz.

Was verkörpert der Schauspieler? Er verkörpert die Autonomie: die des Körpers, die des Gesichts als einer nicht reduzierbaren Tatsache. Er bringt den wichtigsten Aspekt eines Films auf den Punkt: die physische Realität einer Produktion, ohne die die Fiktion des Filmes nicht möglich ist.