VOM WISSEN

Ich blätterte in den Bänden des „Meyerschen Taschenlexikons“, das wir vor einiger Zeit zum billigen Preis erstanden hatten; ich langweilte mich; mir wurde nicht gleich deutlich, was mich störte. Es mag das häßliche Cover gewesen sein, obwohl ich nicht zu den Lesern gehöre, die Lexika nur in gebundenen Ausgaben schätzen.

Viel unangenehmer jedoch erscheint mir jetzt folgender Umstand:

daß dieses Lexikon weder über die prägnante Wissenskonzeption einer Enzyklopädie noch über die Diskretion eines zweisprachigen Wörterbuchs verfügt. Immer noch gaukelt es eine „Wunderbare Welt des Wissens“ vor, ohne die Euphorie der Aufklärung mitzuliefern, ohne auch den eigenen, bisweilen bieder-liberalen Hintergrund auszuleuchten. Und es verfügt nicht über die Bescheidenheit des Übersetzers, der sich stets dessen bewußt bleibt, daß jede Definition zuviel den Bedeutungshöfen der Begriffe zu nahe tritt.

So kommt es zu solchen Blüten wie die, daß ein „Hochhaus“ mindestens zwölf Stockwerke haben müsse (und wieviele elfstöckige Gebäude haben wir schon gesehen, Edmond, die wir naiv als „Hochhäuser“ bezeichneten, aber wen interessiert das...).

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

DER SCHAUSPIELER SCHWEIGT

Ein Schauspieler, der in einem Film eine Rolle verkörpert, übt eine mitunter passive Kunst aus, die nur darin zu bestehen scheint, engagiert zu werden. Von Humphrey Bogart wird erzählt, er sei einmal gebeten worden, auf den Balkon zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Er tat dies; ein Bild von wenigen Sekunden, das Feuer flammte auf, erlosch.

Was der Schauspieler verkörpert, ist ein Schnittpunkt aus Produktionsbedingungen, aus Regieanweisungen, Kostüm, unbedeutenden, knappen Sätzen und schlichten Vorgaben, die ihm die Selbstständigkeit seines 'Werks' absprechen könnten, würde man dieses 'Werk' im herkömmlichen Sinn verstehen. Er fügt sich einem übermächtigen Kollektiv und hat nichts als seinen Körper, mit dem er sich zur Geltung bringen kann.

Es gibt Schauspieler, die genau darin, sich zu fügen, es schaffen, dem im Plakat angekündigten Film einen zweiten, stillen, geheimen Film zu unterlegen, der als eigentliche Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer präsent bleibt, und in welchem sie Regie führen. Vollendete Relativität: Maßstab ist, wer sich als Subjekt begreift. Als Subjekt sich zu begreifen in einem Arbeitsprozeß, der ihn nur als Objekt will – als Schnittstelle für ein dünnes Drehbuch, als bloßes Gesicht, auf das ein Regisseur seine Meriten einschreiben kann – erfordert die Bereitschaft, den Widerspruch zu tragen, den passiven Status, zu dem man verdammt ist, zum eigentlichen Kunstwerk zu gestalten: das Gesicht zu beherrschen, es in höchster Aufmerksamkeit still und schlicht zu halten, bis nichts mehr daraus gekürzt werden kann und jedes Dekor verblasst, es sei denn, man streicht es ganz.

Was verkörpert der Schauspieler? Er verkörpert die Autonomie: die des Körpers, die des Gesichts als einer nicht reduzierbaren Tatsache. Er bringt den wichtigsten Aspekt eines Films auf den Punkt: die physische Realität einer Produktion, ohne die die Fiktion des Filmes nicht möglich ist.