Bild einer Menschenmenge in New York

THEOREM

Man hätte die Frau sprechen müssen, die eine Zeitlang älteste Frau der Welt war. Sie lebte in Arles, in ihrer Jugend hatte sie Bleistifte verkauft; und was immer sie im Alter erzählt haben mag, sie hatte Arles zur Zeit van Goghs gesehen und möglicherweise, ohne ihn zu kennen, den Maler selbst.
Man müsste diese Frau als Theorem der Geschichte fassen: sie mag den Maler, einen der Väter der Moderne, mit eigenen Augen gesehen haben, zu einem Zeitpunkt, da er vollkommen anonym war. Sie wäre Zeugin dieser geschichtlichen Anonymität gewesen, die nichts mit dem Mythos des einsamen Künstlers gemein hat.

Der Anonymität fehlt der ruhmvolle Fluchtpunkt des Genies.

Sie war der BLICK, der ihn, den Anonymen, in sich aufnahm vor hunderfünf / hundertzehn Jahren, ein Blick, der sich nicht befragen ließ. Denn wenn van Gogh anonym war, hatte sie ihn vergessen. Sie fasste die gesamte Zeitspanne von damals bis jetzt in EINEM Blick und – konnte nichts sagen.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

DER SCHAUSPIELER SCHWEIGT

Ein Schauspieler, der in einem Film eine Rolle verkörpert, übt eine mitunter passive Kunst aus, die nur darin zu bestehen scheint, engagiert zu werden. Von Humphrey Bogart wird erzählt, er sei einmal gebeten worden, auf den Balkon zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Er tat dies; ein Bild von wenigen Sekunden, das Feuer flammte auf, erlosch.

Was der Schauspieler verkörpert, ist ein Schnittpunkt aus Produktionsbedingungen, aus Regieanweisungen, Kostüm, unbedeutenden, knappen Sätzen und schlichten Vorgaben, die ihm die Selbstständigkeit seines 'Werks' absprechen könnten, würde man dieses 'Werk' im herkömmlichen Sinn verstehen. Er fügt sich einem übermächtigen Kollektiv und hat nichts als seinen Körper, mit dem er sich zur Geltung bringen kann.

Es gibt Schauspieler, die genau darin, sich zu fügen, es schaffen, dem im Plakat angekündigten Film einen zweiten, stillen, geheimen Film zu unterlegen, der als eigentliche Erinnerung in den Köpfen der Zuschauer präsent bleibt, und in welchem sie Regie führen. Vollendete Relativität: Maßstab ist, wer sich als Subjekt begreift. Als Subjekt sich zu begreifen in einem Arbeitsprozeß, der ihn nur als Objekt will – als Schnittstelle für ein dünnes Drehbuch, als bloßes Gesicht, auf das ein Regisseur seine Meriten einschreiben kann – erfordert die Bereitschaft, den Widerspruch zu tragen, den passiven Status, zu dem man verdammt ist, zum eigentlichen Kunstwerk zu gestalten: das Gesicht zu beherrschen, es in höchster Aufmerksamkeit still und schlicht zu halten, bis nichts mehr daraus gekürzt werden kann und jedes Dekor verblasst, es sei denn, man streicht es ganz.

Was verkörpert der Schauspieler? Er verkörpert die Autonomie: die des Körpers, die des Gesichts als einer nicht reduzierbaren Tatsache. Er bringt den wichtigsten Aspekt eines Films auf den Punkt: die physische Realität einer Produktion, ohne die die Fiktion des Filmes nicht möglich ist.