EN PLEIN AIR

Laß mich folgendes Bild malen: inmitten einer Landschaft aus Stromzählern, Verkehrsschildern, Plakatresten, Schaufenstern, Hydranten das Tableau einer romantischen Berglandschaft. Die Akribie, mit der ich sie male: als ob sie existierte. Das entbehrt nicht der Ironie: die absolute Verneinung der Realität, die vollkommene Beziehungslosigkeit, wenn nicht Irrelevanz zwischen mir und dem Bild: ein schmerzhaftes Gefühl der Absurdität.

Anders: nehmen wir etwas Charakteristisches für die Straße einer deutschen Stadt, den Stromzähler. Ihn abmalen, mit äußerster Detailtreue, nichts auslassend:

nicht den verdreckten Sockel, das graue, von einer Plastikkappe verdeckte Schlüsselloch, nicht den Warnhinweis, die Überreste der Plakate, die an ihn geklebt, dann wieder abgerissen wurden; nicht seine zahllosen Schrammen, das Moos unter seinen Fugen. Nichts verfremden. Dahinter die Straße, die Fahrzeuge auf der Fahrbahn, die vorbeifahren, hupen, stehenbleiben, sich in Parkplätze ordnen, ausfahren, überholen, bremsen, quietschen, schlittern; die Scherben, die allenthalben umherliegen, Papierfetzen, kleine Steine, Blech und Plastik, Kronkorken, Dosenverschlüsse, Zigarettenstummel. Ein diffuses graues oder ein hartes Sonnenlicht, oder Regen, der die Straße schwärzt, Regenreste, die trocknen und Flecken mit stumpfen Rändern hinterlassen. Stromkabel, ein geometrisches Netz von ihnen. Masten, Ampeln, Stangen, Ketten, Büsche, Grasflächen, Mörtel, Gullis. Wenn Bäume in der Nähe sind, auch Zweige oder Blätter, eventuell Kastanien.

Je vollkommener der gemalte Stromzähler dem echten ähnelte, desto mehr tilgte ich mich aus seiner Welt, desto radikaler löschte ich mich aus dem Plan meines Bildes. Die absolute Kontemplation. Das ist mit Wirklichkeit unvereinbar. Die Erfahrung, daß es diesen Kasten, den ich male, nicht zweimal geben kann, im Bild nicht, auch nicht im Spiegel.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

KONVENTIONEN

Man stelle sich einen Menschen in der Masse vor, der sich so gleichförmig in ihr bewegt, dass man in seiner Gegenwart den Eindruck hat, aus dem Zentrum der Masse verdrängt zu werden. Die eigentliche Konvention trägt ihre Dialektik in sich: in ihrer Vollendung, ihrer radikalen Verwechselbarkeit ist sie unverwechselbar. Man denke an Straßenbahnkontrolleure in Zivil: „so durchschnittlich, dass man sie nicht übersehen kann“ – was das heißt, weiß man, wenn man mit ihnen zu tun hat…

Die Masse Mensch dient bei Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann als Signum der Austauschbarkeit. Hoffmanns „Automate“ glänzt durch eine Reibungslosigkeit des Handelns, die als 'leblos' empfunden wird (wobei dieses Attribut oft an die Stelle von 'tot' tritt: es verweigert sich ebenso den POMPES FUNEBRES wie der Erkenntnis, dass, was tot ist, gelebt haben muß). Don Siegel’s „Body Snatcher's“ steht unter diesem Zeichen: die Menschen werden durch ihre geschliffensten Kopien ersetzt, und jene, die übrigbleiben, wissen das eigenartige Verhalten ihrer Freunde nicht recht zu beschreiben.

Nicht umsonst ist der Gangsterfilm ein geeignetes Spielfeld der Konvention, steht ihm doch hierfür die Metapher des tödlichen Schusses zur Verfügung: zum Gangster einer bestimmten Sorte Film gehört der graue Mantel, das Fehlen einer Identität, die Mechanik einer Geste und das Untertauchen in der Masse. Die kalkulierte 'Leblosigkeit' seines Verhaltens bedingt den Tod seines Opfers.

Was wäre nun, wenn man die Klischees beiseite ließe, auf eine Pointierung durch die Schusswaffe verzichtete und von der Darstellung der Konvention zu deren Verwirklichung überginge? Es hieße, die Konvention festzuschreiben, den Gangsterfilm seines Todes zu berauben.

Es hieße, einem Straßenbahnkontrolleur zu begegnen, dessen Anwesenheit deutlich zu spüren ist – wie die Des HErrn in den alten Schriften – ohne dass er jemandem die Karte abverlangte. Der Fahrgast stiege aus der Bahn, ein Stück lebloser als sonst, ohne dass er wüsste, warum.