VERSUCH ÜBER
DIE VERLESUNG DES WETTERS

Die Wetternachrichten, die der Sprecher am Abend liest, behalten einen Tag, vielleicht eine Woche Geltung; in diesem Zeitraum erweist sich ihr Wert darin, ob sie sich erfüllen, ob sie das Abbildungsverhältnis zu einer noch nicht vollzogenen Witterung werden einhalten können, gemäß den Formeln, aus denen sie bestehen: ob die Formeln in ihrer Knappheit, ihrer rein technischen Unterordnung einem Geschehen beikommen, welches kosmische Ausmaße kennt - zumindest soweit dies dem pragmatischen Verhältnis des Publikums dazu entgegenkommt.

Je knapper, je unverwechselbarer die beschreibende Wendung, desto verifizierbarer wird sie, ohne der Illusion zu erliegen, es mit einer Wolke, einem Sturm, einer aufschlagenden Woge aufzunehmen. Chaos verrichtet das Wetter: die Sprache muß übersichtlich sein, muß sich beschränken, an einige Stellen Konturen zu setzen, an anderen zu lassen. Keine Wetternachricht, umgrenzt auf den Raum von fünf Minuten, hält es mit der Ewigkeit; warum also sollte sie sich nicht auf die geradlinigste Skizze beschränken, die die Weltläufte anstreift, wo sie sie benötigt.

Warum sollte sie impressionistische Umschreibungen zulassen, die die Zuschauer mit dem Wetter versöhnen - ist nicht das Wetter selbst schon kompliziert genug, als daß man es auf die Sprachspiele der Berufspendler, der Bauern, der Wanderburschen, der manisch-depressiven Morgenmagazin-Klientel reduzieren sollte?

Und warum sollte ich mich, unter der Klammer einer anstehenden Bö, vom Moderator besänftigen lassen: weshalb adressiert er seine Floskeln an mich mit dem Rest der Gesellschaft zusammen? Genügt das trostlose Dasein eines gelangweilten Wetterfroschs, eine Billigkraft mit derselben verschwörerischen Miene anzuzwinkern wie den Verwaltungsdirektor mit gleichem Paß? Genügt schon die bornierte Einfachheit einer Wolke, um die Brüche der Geschichte, der Gesellschaft, in den Klippen der Naturgewalt verklingen zu lassen?

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

KONVENTIONEN

Man stelle sich einen Menschen in der Masse vor, der sich so gleichförmig in ihr bewegt, dass man in seiner Gegenwart den Eindruck hat, aus dem Zentrum der Masse verdrängt zu werden. Die eigentliche Konvention trägt ihre Dialektik in sich: in ihrer Vollendung, ihrer radikalen Verwechselbarkeit ist sie unverwechselbar. Man denke an Straßenbahnkontrolleure in Zivil: „so durchschnittlich, dass man sie nicht übersehen kann“ – was das heißt, weiß man, wenn man mit ihnen zu tun hat…

Die Masse Mensch dient bei Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann als Signum der Austauschbarkeit. Hoffmanns „Automate“ glänzt durch eine Reibungslosigkeit des Handelns, die als 'leblos' empfunden wird (wobei dieses Attribut oft an die Stelle von 'tot' tritt: es verweigert sich ebenso den POMPES FUNEBRES wie der Erkenntnis, dass, was tot ist, gelebt haben muß). Don Siegel’s „Body Snatcher's“ steht unter diesem Zeichen: die Menschen werden durch ihre geschliffensten Kopien ersetzt, und jene, die übrigbleiben, wissen das eigenartige Verhalten ihrer Freunde nicht recht zu beschreiben.

Nicht umsonst ist der Gangsterfilm ein geeignetes Spielfeld der Konvention, steht ihm doch hierfür die Metapher des tödlichen Schusses zur Verfügung: zum Gangster einer bestimmten Sorte Film gehört der graue Mantel, das Fehlen einer Identität, die Mechanik einer Geste und das Untertauchen in der Masse. Die kalkulierte 'Leblosigkeit' seines Verhaltens bedingt den Tod seines Opfers.

Was wäre nun, wenn man die Klischees beiseite ließe, auf eine Pointierung durch die Schusswaffe verzichtete und von der Darstellung der Konvention zu deren Verwirklichung überginge? Es hieße, die Konvention festzuschreiben, den Gangsterfilm seines Todes zu berauben.

Es hieße, einem Straßenbahnkontrolleur zu begegnen, dessen Anwesenheit deutlich zu spüren ist – wie die Des HErrn in den alten Schriften – ohne dass er jemandem die Karte abverlangte. Der Fahrgast stiege aus der Bahn, ein Stück lebloser als sonst, ohne dass er wüsste, warum.