ZWEI WEGE

Es gibt zwei Wege, sich auf die Seite der Avantgarde zu schlagen.

Einer ist es, sich deren unverstandenen Formsprache als eines Privilegs zu bedienen, als Zeichen wohlgelittener Bildung.

Der andere, das Fremde dieser Sprache, das Fremde an sich, als eine Öffnung zu begreifen, die Beseitigung des kulturellen Privilegs als Durchbruch in der Mauer des Vertrauten, die zu erlernende Toleranz für das, was sich nicht integrieren lässt. Die demokratische Seite des Januskopfes, der sich zur anderen Seite, jener der kapitalistischen Wirklichkeit, repressiv, wenn nicht regressiv verhält

Es zeigt sich, dass das Erlernen der Demokratie, der Bereitschaft, auch das Disparateste eines offnen Blickes zu würdigen, solch Wagnis ist, dass ein gescheiterter Versuch schon bald im dunklen Rollkragen eines Galeristen verendet.

Wohl muß demokratische Kunst nicht allen gleich verständlich sein. Sie könnte allen gleich unverständlich sein: die Dekonstruktion eines unvorbereiteten Blicks (welch fruchtbare Utopie liegt in dieser Figur des unvorbereiteten Blicks), all die Ressentiments, die es gilt abzubauen, all die bürgerlichen Codes, die es gilt zu verhindern.

Die es zu verhindern gilt, bevor auf Schultafeln Fett mit Energie, Filz mit Wärme dechiffriert wird.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

KONVENTIONEN

Man stelle sich einen Menschen in der Masse vor, der sich so gleichförmig in ihr bewegt, dass man in seiner Gegenwart den Eindruck hat, aus dem Zentrum der Masse verdrängt zu werden. Die eigentliche Konvention trägt ihre Dialektik in sich: in ihrer Vollendung, ihrer radikalen Verwechselbarkeit ist sie unverwechselbar. Man denke an Straßenbahnkontrolleure in Zivil: „so durchschnittlich, dass man sie nicht übersehen kann“ – was das heißt, weiß man, wenn man mit ihnen zu tun hat…

Die Masse Mensch dient bei Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann als Signum der Austauschbarkeit. Hoffmanns „Automate“ glänzt durch eine Reibungslosigkeit des Handelns, die als 'leblos' empfunden wird (wobei dieses Attribut oft an die Stelle von 'tot' tritt: es verweigert sich ebenso den POMPES FUNEBRES wie der Erkenntnis, dass, was tot ist, gelebt haben muß). Don Siegel’s „Body Snatcher's“ steht unter diesem Zeichen: die Menschen werden durch ihre geschliffensten Kopien ersetzt, und jene, die übrigbleiben, wissen das eigenartige Verhalten ihrer Freunde nicht recht zu beschreiben.

Nicht umsonst ist der Gangsterfilm ein geeignetes Spielfeld der Konvention, steht ihm doch hierfür die Metapher des tödlichen Schusses zur Verfügung: zum Gangster einer bestimmten Sorte Film gehört der graue Mantel, das Fehlen einer Identität, die Mechanik einer Geste und das Untertauchen in der Masse. Die kalkulierte 'Leblosigkeit' seines Verhaltens bedingt den Tod seines Opfers.

Was wäre nun, wenn man die Klischees beiseite ließe, auf eine Pointierung durch die Schusswaffe verzichtete und von der Darstellung der Konvention zu deren Verwirklichung überginge? Es hieße, die Konvention festzuschreiben, den Gangsterfilm seines Todes zu berauben.

Es hieße, einem Straßenbahnkontrolleur zu begegnen, dessen Anwesenheit deutlich zu spüren ist – wie die Des HErrn in den alten Schriften – ohne dass er jemandem die Karte abverlangte. Der Fahrgast stiege aus der Bahn, ein Stück lebloser als sonst, ohne dass er wüsste, warum.