Goncourt's Logfiles
Weinrich
Zwei Wege der Avantgarde
Der Stil der Sprache
Schaltkreis des Satzes
Vom Wetter
Der anonyme Herr van Gogh
Konventionen
Topografie der Geschichte
Der Schauspieler schweigt
Asche
Vom Wissen
Widipedia und die Gültigkeit des Wissens
Sunglasses
Poesie und Alitalia
En plein air
Signale
Essen wie Gott in Frankreich
Bilder
Haubrichs erotische Klöster
Marvin Gaye
Legitimation eines Zimmers
La Tour aboli
Die Maske des Mimen
Die Maske des Dekorateurs
Unsere Kriege
Unsere Kriege II
Unsere Kriege III
Das ZDF: Wirtschaft und Soziales
Reif für's Reich
Der Lange Satz
Genesis (Flash)
Hegel
Gegen Handke
Dr. Jeckyll & Mr. Hyde
Goncourt's Portfolio
Goncourt's Labyrinth
Goncourt's Flucht nach draußen
Die Sexseite unseres Butlers
HOME
Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

KONVENTIONEN

Man stelle sich einen Menschen in der Masse vor, der sich so gleichförmig in ihr bewegt, dass man in seiner Gegenwart den Eindruck hat, aus dem Zentrum der Masse verdrängt zu werden. Die eigentliche Konvention trägt ihre Dialektik in sich: in ihrer Vollendung, ihrer radikalen Verwechselbarkeit ist sie unverwechselbar. Man denke an Straßenbahnkontrolleure in Zivil: „so durchschnittlich, dass man sie nicht übersehen kann“ – was das heißt, weiß man, wenn man mit ihnen zu tun hat…

Die Masse Mensch dient bei Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann als Signum der Austauschbarkeit. Hoffmanns „Automate“ glänzt durch eine Reibungslosigkeit des Handelns, die als 'leblos' empfunden wird (wobei dieses Attribut oft an die Stelle von 'tot' tritt: es verweigert sich ebenso den POMPES FUNEBRES wie der Erkenntnis, dass, was tot ist, gelebt haben muß). Don Siegel’s „Body Snatcher's“ steht unter diesem Zeichen: die Menschen werden durch ihre geschliffensten Kopien ersetzt, und jene, die übrigbleiben, wissen das eigenartige Verhalten ihrer Freunde nicht recht zu beschreiben.

Nicht umsonst ist der Gangsterfilm ein geeignetes Spielfeld der Konvention, steht ihm doch hierfür die Metapher des tödlichen Schusses zur Verfügung: zum Gangster einer bestimmten Sorte Film gehört der graue Mantel, das Fehlen einer Identität, die Mechanik einer Geste und das Untertauchen in der Masse. Die kalkulierte 'Leblosigkeit' seines Verhaltens bedingt den Tod seines Opfers.

Was wäre nun, wenn man die Klischees beiseite ließe, auf eine Pointierung durch die Schusswaffe verzichtete und von der Darstellung der Konvention zu deren Verwirklichung überginge? Es hieße, die Konvention festzuschreiben, den Gangsterfilm seines Todes zu berauben.

Es hieße, einem Straßenbahnkontrolleur zu begegnen, dessen Anwesenheit deutlich zu spüren ist – wie die Des HErrn in den alten Schriften – ohne dass er jemandem die Karte abverlangte. Der Fahrgast stiege aus der Bahn, ein Stück lebloser als sonst, ohne dass er wüsste, warum.