POESIE UND ALITALIA
Meine Vorstellung von Poesie ist wahrscheinlich eine resignative. Doch ist eine solche Resignation, die wie eine hegelsche Geschichtsepoche ihr eigenes Ende in sich trägt, keine fatalistische. Sie besteht im freimütigen Anerkennen der Sinnlosigkeit, im Fortwerfen unnötiger Ballaste, damit in einem Neuanfang.
Mein Bruder und ich brachten einen Freund zum Flughafen. Seine Eltern begleiteten uns; als er hinter den Schranken verschwand, hofften sie, auf der Besucherterrasse noch etwas von ihm sehen zu können. Gleichgültig, wie illusorisch dies war: wir passierten eine Kabine, in der ein Beamter Eintritt verlangte. Der schüchterne Vater fragte erstaunt: Zwei Mark fünfzig für nur zwei Minuten? Ach was. — Wir gingen einfach an dem Beamten vorbei.
Ich beugte mich über die Brüstung und schaute auf einen Bus, aus welchem
die geladenen Passagiere ausstiegen: wie herbstliche Blätter fielen Geschäftsleute
heraus, mit flatternden Krawatten, in dunklen Farben.
Dann etwas, was veranschaulichen könnte, was ich oben meinte: während
in diesiger Ferne Flugzeuge über die Bahnen rollten und sich die Vorstellung,
irgendeinen Passagier noch erkennen zu können, bereits erledigt hatte,
stand ein großer, bullig gewachsener Mann am Geländer, ein Italiener
mit einem bunten Strickpullover und einer 'Repubblica'
unter dem Arm, der mir auf Anhieb sympathisch war, weil er, offenbar zärtlich
veranlagt, in ein Stofftaschentuch schluchzte, während er die 'Alitalia'
davongleiten sah. Dass er jenes abstrakte Bild der winzigen Maschinen und Lichter
noch in Verbindung mit den in ihnen Sitzenden brachte, dass ihn diese linierte
Weite traurig machte, ist Poesie.