DIE MASKE DES MIMEN
«Doktor, ich glaube ich sterbe. Aber ich weiß es nicht genau.»
Charles Chaplin als Calvero in LimeLights
Der Blick Calveros in «Limelights», das Lächeln zur Seite, als
er erfährt, dass er ausgebootet worden ist: er bemüht sich nicht
mit Witzen um sein Publikum.
Chaplin ist und ist nicht Calvero, den er sich als Maske aufsetzt. Wenn er
mit Buster Keaton auf der Bühne steht - der ihm ebenbürtig ist und
einsamer in seinen letzten Jahren - scheint die Filmgeschichte sich selbst zu
schreiben. Die Clowns tragen ihre Masken in klassischer Weise: vor sich, in
der Hand, jeder Zeit fähig, sie abzunehmen und gegen sich zu kehren.
Man erinnere sich an Anna Karina in «Vivre sa vie»: sie sitzt im
Kino und bestrahlt das Gesicht der Jeanne d'Arc von Dreyer, das genauso chiffrenhaft
ist wie ihr eigenes: zwei Ovale, das eine aus dem Kinogestühl aufschauend,
das andere herabblickend von der Leinwand. Die Szene dauert einige Momente,
das Bild wechselt von einer Seite zur andern, um das Verstreichen der Sekunden
gleichzeitig spürbar und nichtig werden zu lassen.
Es werden die Gesichter der Karina, der Jeanne d'Arc nie wiederkehren, es werden
dies auch nicht die Blicke von Chaplin und Keaton, alt und souverän geworden;
es scheint, als hätte die Kamera ihnen die Chance dazu geraubt - man wird
den Verlust datieren können.
Das Gesicht hat geschlossen. Von hier aus gibt es nur noch Zeit.
LEGITIMATIONEN
Das Zimmer, das er bewohnt, mit den Dingen, die von ihm stammen, das Bett, in dem er schläft, der Schrank mit seinen
Kleidern und das Fenster, das ihm als Auge dient. Von den Büchern hat er jede Seite, Wort um
Wort gelesen; über alles hat er seine Hand streifen lassen, alles ist von ihm berührt, sortiert, gerichtet worden, an
einen Platz gestellt, für diesen Platz geschaffen.
Wenn er aber verschwindet?
Das Zimmer existiert weiter. Doch das, was es hätte erklären können, ist nicht mehr. Das Zimmer gerät zu einem
Schatten dessen, der ohne Abschied gegangen war. Die Bücher, vorher «Werke», sind nur noch Papier, das Fenster kein
Auge mehr, die Buchtungen im Bett absurd, denn worauf verweisen sie?
Ein neuer Mieter wird einziehen. Die Bücher wandern auf den Müll, das Bett, der Schrank werden folgen. Tapeten werden
abgerissen und durch neue ersetzt. Kein Zweifel: das Haus, in dem sich das Zimmer befindet, vermag die Lücke zu
schließen, die durch das Verschwinden des Vormieters entstanden war, es haftet dem aber etwas Ungehöriges an — kann es
sich noch irgend begründen ohne Erinnerung an den, der es bewohnt und zu dem gemacht hat, was es ist?
Das Vergessen, das sich über diese Wunde schließt, nimmt ihm einen Grund, überhaupt zu sein; Gespenstergeschichten
nehmen von hier ihren Ausgang.