Verschwinden

"1938 beraubte Juden erwähnt man mir wiederholt; geraubte Juden kaum je. Wenn aber, dann so, wie es L.’s Putzmacherin gestern getan hat. 'Und stellen Sie sich vor, Herr Doktor, da stand dann die Bücherei und das Pianino von Direktor Cohn einfach herum. Und kein Mensch im Hause.'"

Bernhard Lassahn (Hg.), Das Günter Anders Lesebuch, Zürich 1984, S.167

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

LEGITIMATIONEN

Das Zimmer, das er bewohnt, mit den Dingen, die von ihm stammen, das Bett, in dem er schläft, der Schrank mit seinen Kleidern und das Fenster, das ihm als Auge dient. Von den Büchern hat er jede Seite, Wort um Wort gelesen; über alles hat er seine Hand streifen lassen, alles ist von ihm berührt, sortiert, gerichtet worden, an einen Platz gestellt, für diesen Platz geschaffen.

Wenn er aber verschwindet?

Das Zimmer existiert weiter. Doch das, was es hätte erklären können, ist nicht mehr. Das Zimmer gerät zu einem Schatten dessen, der ohne Abschied gegangen war. Die Bücher, vorher «Werke», sind nur noch Papier, das Fenster kein Auge mehr, die Buchtungen im Bett absurd, denn worauf verweisen sie?

Ein neuer Mieter wird einziehen. Die Bücher wandern auf den Müll, das Bett, der Schrank werden folgen. Tapeten werden abgerissen und durch neue ersetzt. Kein Zweifel: das Haus, in dem sich das Zimmer befindet, vermag die Lücke zu schließen, die durch das Verschwinden des Vormieters entstanden war, es haftet dem aber etwas Ungehöriges an — kann es sich noch irgend begründen ohne Erinnerung an den, der es bewohnt und zu dem gemacht hat, was es ist?

Das Vergessen, das sich über diese Wunde schließt, nimmt ihm einen Grund, überhaupt zu sein; Gespenstergeschichten nehmen von hier ihren Ausgang.