VERSUCH ÜBER
DIE VERLESUNG DES WETTERS
Die Wetternachrichten, die der Sprecher am Abend
liest, behalten einen Tag, vielleicht eine Woche Geltung; in diesem Zeitraum
erweist sich ihr Wert darin, ob sie sich erfüllen, ob sie das Abbildungsverhältnis
zu einer noch nicht vollzogenen Witterung werden einhalten können, gemäß
den Formeln, aus denen sie bestehen: ob die Formeln in ihrer Knappheit, ihrer
rein technischen Unterordnung einem Geschehen beikommen, welches kosmische Ausmaße
kennt - zumindest soweit dies dem pragmatischen Verhältnis des Publikums
dazu entgegenkommt.
Je knapper, je unverwechselbarer die beschreibende
Wendung, desto verifizierbarer wird sie, ohne der Illusion zu erliegen, es mit
einer Wolke, einem Sturm, einer aufschlagenden Woge aufzunehmen. Chaos verrichtet
das Wetter: die Sprache muß übersichtlich sein, muß sich beschränken,
an einige Stellen Konturen zu setzen, an anderen zu lassen. Keine Wetternachricht,
umgrenzt auf den Raum von fünf Minuten, hält es mit der Ewigkeit;
warum also sollte sie sich nicht auf die geradlinigste Skizze beschränken,
die die Weltläufte anstreift, wo sie sie benötigt.
Warum sollte sie impressionistische Umschreibungen
zulassen, die die Zuschauer mit dem Wetter versöhnen - ist nicht das Wetter
selbst schon kompliziert genug, als daß man es auf die Sprachspiele der
Berufspendler, der Bauern, der Wanderburschen, der manisch-depressiven Morgenmagazin-Klientel
reduzieren sollte?
Und warum sollte ich mich, unter der Klammer
einer anstehenden Bö, vom Moderator besänftigen lassen: weshalb adressiert
er seine Floskeln an mich mit dem Rest der Gesellschaft zusammen? Genügt
das trostlose Dasein eines gelangweilten Wetterfroschs, eine Billigkraft mit
derselben verschwörerischen Miene anzuzwinkern wie den Verwaltungsdirektor
mit gleichem Paß? Genügt schon die bornierte Einfachheit einer Wolke,
um die Brüche der Geschichte, der Gesellschaft, in den Klippen der Naturgewalt
verklingen zu lassen?
LEGITIMATIONEN
Das Zimmer, das er bewohnt, mit den Dingen, die von ihm stammen, das Bett, in dem er schläft, der Schrank mit seinen
Kleidern und das Fenster, das ihm als Auge dient. Von den Büchern hat er jede Seite, Wort um
Wort gelesen; über alles hat er seine Hand streifen lassen, alles ist von ihm berührt, sortiert, gerichtet worden, an
einen Platz gestellt, für diesen Platz geschaffen.
Wenn er aber verschwindet?
Das Zimmer existiert weiter. Doch das, was es hätte erklären können, ist nicht mehr. Das Zimmer gerät zu einem
Schatten dessen, der ohne Abschied gegangen war. Die Bücher, vorher «Werke», sind nur noch Papier, das Fenster kein
Auge mehr, die Buchtungen im Bett absurd, denn worauf verweisen sie?
Ein neuer Mieter wird einziehen. Die Bücher wandern auf den Müll, das Bett, der Schrank werden folgen. Tapeten werden
abgerissen und durch neue ersetzt. Kein Zweifel: das Haus, in dem sich das Zimmer befindet, vermag die Lücke zu
schließen, die durch das Verschwinden des Vormieters entstanden war, es haftet dem aber etwas Ungehöriges an — kann es
sich noch irgend begründen ohne Erinnerung an den, der es bewohnt und zu dem gemacht hat, was es ist?
Das Vergessen, das sich über diese Wunde schließt, nimmt ihm einen Grund, überhaupt zu sein; Gespenstergeschichten
nehmen von hier ihren Ausgang.