POESIE UND ALITALIA

Meine Vorstellung von Poesie ist wahrscheinlich eine resignative. Doch ist eine solche Resignation, die wie eine hegelsche Geschichtsepoche ihr eigenes Ende in sich trägt, keine fatalistische. Sie besteht im freimütigen Anerkennen der Sinnlosigkeit, im Fortwerfen unnötiger Ballaste, damit in einem Neuanfang.

Mein Bruder und ich brachten einen Freund zum Flughafen. Seine Eltern begleiteten uns; als er hinter den Schranken verschwand, hofften sie, auf der Besucherterrasse noch etwas von ihm sehen zu können. Gleichgültig, wie illusorisch dies war: wir passierten eine Kabine, in der ein Beamter Eintritt verlangte. Der schüchterne Vater fragte erstaunt: Zwei Mark fünfzig für nur zwei Minuten? Ach was. — Wir gingen einfach an dem Beamten vorbei.

Ich beugte mich über die Brüstung und schaute auf einen Bus, aus welchem die geladenen Passagiere ausstiegen: wie herbstliche Blätter fielen Geschäftsleute heraus, mit flatternden Krawatten, in dunklen Farben.
Dann etwas, was veranschaulichen könnte, was ich oben meinte: während in diesiger Ferne Flugzeuge über die Bahnen rollten und sich die Vorstellung, irgendeinen Passagier noch erkennen zu können, bereits erledigt hatte, stand ein großer, bullig gewachsener Mann am Geländer, ein Italiener mit einem bunten Strickpullover und einer 'Repubblica' unter dem Arm, der mir auf Anhieb sympathisch war, weil er, offenbar zärtlich veranlagt, in ein Stofftaschentuch schluchzte, während er die 'Alitalia' davongleiten sah. Dass er jenes abstrakte Bild der winzigen Maschinen und Lichter noch in Verbindung mit den in ihnen Sitzenden brachte, dass ihn diese linierte Weite traurig machte, ist Poesie.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

FRANZOSEN...

EDMOND
Wenn ich, einen Text mir vorlesend, auf Stellen stoße, an denen meine Zunge strauchelt, weil sie nicht weiß, wie sie die variablen Konsonanten, Vokale verschluckend, zu einem Satzbogen formen soll, frage ich mich ungläubig, ob der Autor, beim Aufziehen seines kleinen stilistischen Uhrwerks, die Wörter tatsächlich so verlinkt hat, dass ein Franzose sie mit Leichtigkeit bewältigen kann. Bei Valéry immerhin oder Mallarmé müsste man sich dessen sicher sein, nicht wahr, Jules?

JULES
Was, wenn nicht 'Stil' den Ausschlag zu seiner Formulierung gab? Wenn ein Wort zwingend hart auf ein andres folgen muss, aus Gründen des Inhalts, nicht der Form? — Obschon es merkwürdig, holprig, in gewisser Weise 'unfranzösisch' klingt (und sei es nur in den Ohren Jemandes mit dem Abschluß der Ecole supérieure normale).

EDMOND
Würde ein französischer Stilist je einen 'unfranzösischen' Satz schreiben können?

JULES
Frag Gustave.
Aber denkst Du nicht, dass die Wörter nicht ohnehin so beschaffen sind, wie sie sich — nach herkömmlichem (richtigem?) Gebrauch — genuin in die Sätze fügen? Dass nicht die Bewegung der Zunge [langue] durch die Wörter, sondern die Wörter durch die Bewegung der Zunge [langage] sich haben prägen lassen — dass sie im Lauf von Jahrhunderten nicht nur verschliffen, sondern aus den Artikulationen überhaupt aufgefangen wurden, woraus sie dann ihre Definitionen erhielten? So ließe sich jedes Wort als pars pro toto seiner Vermarktung betrachten, nicht wahr, Edmond.

EDMOND
Dass Du alles so weltlich siehst, Jules.