DIE MASKE DES MIMEN

«Doktor, ich glaube ich sterbe. Aber ich weiß es nicht genau.»
Charles Chaplin als Calvero in LimeLights

Der Blick Calveros in «Limelights», das Lächeln zur Seite, als er erfährt, dass er ausgebootet worden ist: er bemüht sich nicht mit Witzen um sein Publikum.

Chaplin ist und ist nicht Calvero, den er sich als Maske aufsetzt. Wenn er mit Buster Keaton auf der Bühne steht - der ihm ebenbürtig ist und einsamer in seinen letzten Jahren - scheint die Filmgeschichte sich selbst zu schreiben. Die Clowns tragen ihre Masken in klassischer Weise: vor sich, in der Hand, jeder Zeit fähig, sie abzunehmen und gegen sich zu kehren.

Man erinnere sich an Anna Karina in «Vivre sa vie»: sie sitzt im Kino und bestrahlt das Gesicht der Jeanne d'Arc von Dreyer, das genauso chiffrenhaft ist wie ihr eigenes: zwei Ovale, das eine aus dem Kinogestühl aufschauend, das andere herabblickend von der Leinwand. Die Szene dauert einige Momente, das Bild wechselt von einer Seite zur andern, um das Verstreichen der Sekunden gleichzeitig spürbar und nichtig werden zu lassen.

Es werden die Gesichter der Karina, der Jeanne d'Arc nie wiederkehren, es werden dies auch nicht die Blicke von Chaplin und Keaton, alt und souverän geworden; es scheint, als hätte die Kamera ihnen die Chance dazu geraubt - man wird den Verlust datieren können.

Das Gesicht hat geschlossen. Von hier aus gibt es nur noch Zeit.

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

FRANZOSEN...

EDMOND
Wenn ich, einen Text mir vorlesend, auf Stellen stoße, an denen meine Zunge strauchelt, weil sie nicht weiß, wie sie die variablen Konsonanten, Vokale verschluckend, zu einem Satzbogen formen soll, frage ich mich ungläubig, ob der Autor, beim Aufziehen seines kleinen stilistischen Uhrwerks, die Wörter tatsächlich so verlinkt hat, dass ein Franzose sie mit Leichtigkeit bewältigen kann. Bei Valéry immerhin oder Mallarmé müsste man sich dessen sicher sein, nicht wahr, Jules?

JULES
Was, wenn nicht 'Stil' den Ausschlag zu seiner Formulierung gab? Wenn ein Wort zwingend hart auf ein andres folgen muss, aus Gründen des Inhalts, nicht der Form? — Obschon es merkwürdig, holprig, in gewisser Weise 'unfranzösisch' klingt (und sei es nur in den Ohren Jemandes mit dem Abschluß der Ecole supérieure normale).

EDMOND
Würde ein französischer Stilist je einen 'unfranzösischen' Satz schreiben können?

JULES
Frag Gustave.
Aber denkst Du nicht, dass die Wörter nicht ohnehin so beschaffen sind, wie sie sich — nach herkömmlichem (richtigem?) Gebrauch — genuin in die Sätze fügen? Dass nicht die Bewegung der Zunge [langue] durch die Wörter, sondern die Wörter durch die Bewegung der Zunge [langage] sich haben prägen lassen — dass sie im Lauf von Jahrhunderten nicht nur verschliffen, sondern aus den Artikulationen überhaupt aufgefangen wurden, woraus sie dann ihre Definitionen erhielten? So ließe sich jedes Wort als pars pro toto seiner Vermarktung betrachten, nicht wahr, Edmond.

EDMOND
Dass Du alles so weltlich siehst, Jules.