VOM WISSEN

Ich blätterte in den Bänden des „Meyerschen Taschenlexikons“, das wir vor einiger Zeit zum billigen Preis erstanden hatten; ich langweilte mich; mir wurde nicht gleich deutlich, was mich störte. Es mag das häßliche Cover gewesen sein, obwohl ich nicht zu den Lesern gehöre, die Lexika nur in gebundenen Ausgaben schätzen.

Viel unangenehmer jedoch erscheint mir jetzt folgender Umstand:

daß dieses Lexikon weder über die prägnante Wissenskonzeption einer Enzyklopädie noch über die Diskretion eines zweisprachigen Wörterbuchs verfügt. Immer noch gaukelt es eine „Wunderbare Welt des Wissens“ vor, ohne die Euphorie der Aufklärung mitzuliefern, ohne auch den eigenen, bisweilen bieder-liberalen Hintergrund auszuleuchten. Und es verfügt nicht über die Bescheidenheit des Übersetzers, der sich stets dessen bewußt bleibt, daß jede Definition zuviel den Bedeutungshöfen der Begriffe zu nahe tritt.

So kommt es zu solchen Blüten wie die, daß ein „Hochhaus“ mindestens zwölf Stockwerke haben müsse (und wieviele elfstöckige Gebäude haben wir schon gesehen, Edmond, die wir naiv als „Hochhäuser“ bezeichneten, aber wen interessiert das...).

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

FRANZOSEN...

EDMOND
Wenn ich, einen Text mir vorlesend, auf Stellen stoße, an denen meine Zunge strauchelt, weil sie nicht weiß, wie sie die variablen Konsonanten, Vokale verschluckend, zu einem Satzbogen formen soll, frage ich mich ungläubig, ob der Autor, beim Aufziehen seines kleinen stilistischen Uhrwerks, die Wörter tatsächlich so verlinkt hat, dass ein Franzose sie mit Leichtigkeit bewältigen kann. Bei Valéry immerhin oder Mallarmé müsste man sich dessen sicher sein, nicht wahr, Jules?

JULES
Was, wenn nicht 'Stil' den Ausschlag zu seiner Formulierung gab? Wenn ein Wort zwingend hart auf ein andres folgen muss, aus Gründen des Inhalts, nicht der Form? — Obschon es merkwürdig, holprig, in gewisser Weise 'unfranzösisch' klingt (und sei es nur in den Ohren Jemandes mit dem Abschluß der Ecole supérieure normale).

EDMOND
Würde ein französischer Stilist je einen 'unfranzösischen' Satz schreiben können?

JULES
Frag Gustave.
Aber denkst Du nicht, dass die Wörter nicht ohnehin so beschaffen sind, wie sie sich — nach herkömmlichem (richtigem?) Gebrauch — genuin in die Sätze fügen? Dass nicht die Bewegung der Zunge [langue] durch die Wörter, sondern die Wörter durch die Bewegung der Zunge [langage] sich haben prägen lassen — dass sie im Lauf von Jahrhunderten nicht nur verschliffen, sondern aus den Artikulationen überhaupt aufgefangen wurden, woraus sie dann ihre Definitionen erhielten? So ließe sich jedes Wort als pars pro toto seiner Vermarktung betrachten, nicht wahr, Edmond.

EDMOND
Dass Du alles so weltlich siehst, Jules.