EN PLEIN AIR
Laß mich folgendes Bild malen: inmitten einer Landschaft aus Stromzählern,
Verkehrsschildern, Plakatresten, Schaufenstern, Hydranten das Tableau einer
romantischen Berglandschaft. Die Akribie, mit der ich sie male: als ob sie existierte.
Das entbehrt nicht der Ironie: die absolute Verneinung der Realität, die
vollkommene Beziehungslosigkeit, wenn nicht Irrelevanz zwischen mir und dem
Bild: ein schmerzhaftes Gefühl der Absurdität.
Anders: nehmen wir etwas Charakteristisches für die Straße einer
deutschen Stadt, den Stromzähler. Ihn abmalen, mit äußerster
Detailtreue, nichts auslassend:
nicht den verdreckten Sockel, das graue, von einer Plastikkappe verdeckte Schlüsselloch,
nicht den Warnhinweis, die Überreste der Plakate, die an ihn geklebt, dann
wieder abgerissen wurden; nicht seine zahllosen Schrammen, das Moos unter seinen
Fugen. Nichts verfremden. Dahinter die Straße, die Fahrzeuge auf der Fahrbahn,
die vorbeifahren, hupen, stehenbleiben, sich in Parkplätze ordnen, ausfahren,
überholen, bremsen, quietschen, schlittern; die Scherben, die allenthalben
umherliegen, Papierfetzen, kleine Steine, Blech und Plastik, Kronkorken, Dosenverschlüsse,
Zigarettenstummel. Ein diffuses graues oder ein hartes Sonnenlicht, oder Regen,
der die Straße schwärzt, Regenreste, die trocknen und Flecken mit
stumpfen Rändern hinterlassen. Stromkabel, ein geometrisches Netz von ihnen.
Masten, Ampeln, Stangen, Ketten, Büsche, Grasflächen, Mörtel,
Gullis. Wenn Bäume in der Nähe sind, auch Zweige oder Blätter,
eventuell Kastanien.
Je vollkommener der gemalte Stromzähler dem echten ähnelte, desto
mehr tilgte ich mich aus seiner Welt, desto radikaler löschte ich mich
aus dem Plan meines Bildes. Die absolute Kontemplation. Das ist mit Wirklichkeit
unvereinbar. Die Erfahrung, daß es diesen Kasten, den ich male, nicht
zweimal geben kann, im Bild nicht, auch nicht im Spiegel.
FRANZOSEN...
EDMOND
Wenn ich, einen Text mir vorlesend, auf Stellen stoße, an denen meine Zunge strauchelt, weil sie
nicht weiß, wie sie die variablen Konsonanten, Vokale verschluckend, zu
einem Satzbogen formen soll, frage ich mich ungläubig, ob der Autor, beim
Aufziehen seines kleinen stilistischen Uhrwerks, die Wörter tatsächlich
so verlinkt hat, dass ein Franzose sie mit Leichtigkeit bewältigen kann.
Bei Valéry immerhin oder Mallarmé müsste man sich dessen
sicher sein, nicht wahr, Jules?
JULES
Was, wenn nicht 'Stil' den Ausschlag zu seiner Formulierung gab? Wenn ein Wort zwingend hart auf ein
andres folgen muss, aus Gründen des Inhalts, nicht der Form? — Obschon
es merkwürdig, holprig, in gewisser Weise 'unfranzösisch' klingt (und
sei es nur in den Ohren Jemandes mit dem Abschluß der Ecole supérieure
normale).
EDMOND
Würde ein französischer Stilist je einen 'unfranzösischen' Satz schreiben können?
JULES
Frag Gustave.
Aber denkst Du nicht, dass die Wörter nicht ohnehin so beschaffen sind,
wie sie sich — nach herkömmlichem (richtigem?) Gebrauch — genuin
in die Sätze fügen? Dass nicht die Bewegung der Zunge [langue] durch
die Wörter, sondern die Wörter durch die Bewegung der Zunge [langage]
sich haben prägen lassen — dass sie im Lauf von Jahrhunderten nicht
nur verschliffen, sondern aus den Artikulationen überhaupt aufgefangen
wurden, woraus sie dann ihre Definitionen erhielten? So ließe sich jedes
Wort als pars pro toto seiner Vermarktung
betrachten, nicht wahr, Edmond.
EDMOND
Dass Du alles so weltlich siehst, Jules.