TOPOGRAFIE DURCH GESCHICHTE

Gesetzt den Fall, man fände sich, ohne es zu wissen, auf dem Gelände der Stadt wieder, in welcher man dreißig Jahre gelebt hat (um das Wort Heimatstadt zu vermeiden), von welcher nur noch Grundrisse, Straßen existierten: wäre man imstande, sie wiederzuerkennen? Wären ihre Linien, Windungen, Anhebungen vertraut genug, dass man sie, während man sie abläuft, an den Schritten, die man in ihre Fläche setzt, an seiner eigenen Bewegung in ihr erkennen könnte?

Dann wäre die Stadt nur noch blanker Rahmen dessen, was man in Wahrheit von ihr kennt: sein Verhalten in ihr; dann wäre die Ansicht ihrer Fassaden lediglich Bestätigung des Vertrauten, Spiegel einer Topografie, die sich innen und außen deckt: sind doch die Straßen nur Zeugnis der Schritte, welche sie begründeten und breittraten, ehe Avenuen und Boulevards sich entrollten, ebenso, wie Konventionen aus dem Handeln der Massen folgten, ehe Konventionen das Handeln der Massen zu bestimmen begannen.

Man beachte, dass man einen Menschen an seiner Gangart erkennt, wenn man zu kurzsichtig ist, ihn sonst zu unterscheiden

Logfiles Zurück Weiter Goncourt's Flucht nach draußen

FRANZOSEN...

EDMOND
Wenn ich, einen Text mir vorlesend, auf Stellen stoße, an denen meine Zunge strauchelt, weil sie nicht weiß, wie sie die variablen Konsonanten, Vokale verschluckend, zu einem Satzbogen formen soll, frage ich mich ungläubig, ob der Autor, beim Aufziehen seines kleinen stilistischen Uhrwerks, die Wörter tatsächlich so verlinkt hat, dass ein Franzose sie mit Leichtigkeit bewältigen kann. Bei Valéry immerhin oder Mallarmé müsste man sich dessen sicher sein, nicht wahr, Jules?

JULES
Was, wenn nicht 'Stil' den Ausschlag zu seiner Formulierung gab? Wenn ein Wort zwingend hart auf ein andres folgen muss, aus Gründen des Inhalts, nicht der Form? — Obschon es merkwürdig, holprig, in gewisser Weise 'unfranzösisch' klingt (und sei es nur in den Ohren Jemandes mit dem Abschluß der Ecole supérieure normale).

EDMOND
Würde ein französischer Stilist je einen 'unfranzösischen' Satz schreiben können?

JULES
Frag Gustave.
Aber denkst Du nicht, dass die Wörter nicht ohnehin so beschaffen sind, wie sie sich — nach herkömmlichem (richtigem?) Gebrauch — genuin in die Sätze fügen? Dass nicht die Bewegung der Zunge [langue] durch die Wörter, sondern die Wörter durch die Bewegung der Zunge [langage] sich haben prägen lassen — dass sie im Lauf von Jahrhunderten nicht nur verschliffen, sondern aus den Artikulationen überhaupt aufgefangen wurden, woraus sie dann ihre Definitionen erhielten? So ließe sich jedes Wort als pars pro toto seiner Vermarktung betrachten, nicht wahr, Edmond.

EDMOND
Dass Du alles so weltlich siehst, Jules.