SCHALTKREIS DES SATZES
SCHREIBE EINEN SATZ
Schreibe einen Satz, der alles zu erfassen vermag.
Verteile die Informationen einer Handlung so über die
Schnittstellen eines Satzes, dass sie dessen Schaltung bewirken, statt
ihn zu unterbrechen; dass sich die Bezeichnungen mit den Funktionen, die
sie bezeichnen, decken; dass sie VOLLSTÄNDIG im Satz enthalten sind
und ihm doch nicht im Wege - auf dass Du den Wald siehst und zugleich die
Bäume.
BESCHREIBE EINE BEWEGUNG
Beschreibe den komplexen Bewegungsablauf
eines Menschen nachts; dessen, der sich aus dem Bett erhebt; der einen Kühlschrank
öffnet, eine Wasserflasche herausnimmt, sie öffnet, an die Lippen
setzt, trinkt, absetzt, zuschraubt, wegstellt, sich setzt; und in die Gegend
stiert.
Erstelle einen Satz oder mehrere, die kurz sind; die den Bewegungsablauf enthalten:
als Information, zugleich als Rhythmus, als Syntax. Die die Bedeutung dieser
Bewegung: ihre Alltäglichkeit
darstellen und realisieren gleichermaßen: in einem Zuge: die die Minutiosität
der Betrachtung mit größter Schlichtheit in die Handlung fügen,
sie gleichsam aus der Peripherie hineinführen in das Zentrum des Satzes.
Das meint den Blick der Lupe mit dem des Panoramas zu verweben: die Schilderung
des Details mit der des übergreifenden Prozesses, die Informationen, je
nachdem, als Substantiv, Verb, Artikel, Präposition, Pronomen in den großen
Sprachstrom zu werfen, der sie gelassen schluckt, obgleich er selbst sich jederzeit
in ihnen auflösen müsste.
DIE GLIEDER EINES SATZES VERLINKEN
Sich bei einer glaubwürdigen Autorität darüber versichern, wie
oft man die Wörter 'dann', 'während', 'als', 'nachdem', 'darauf',
'wie', 'aber', 'doch', 'jedoch' innerhalb eines Absatzes, geschweige denn eines
Satzes gebrauchen darf. Die unüberwindliche Vokabel 'und'.
FRANZOSEN...
EDMOND
Wenn ich, einen Text mir vorlesend, auf Stellen stoße, an denen meine Zunge strauchelt, weil sie
nicht weiß, wie sie die variablen Konsonanten, Vokale verschluckend, zu
einem Satzbogen formen soll, frage ich mich ungläubig, ob der Autor, beim
Aufziehen seines kleinen stilistischen Uhrwerks, die Wörter tatsächlich
so verlinkt hat, dass ein Franzose sie mit Leichtigkeit bewältigen kann.
Bei Valéry immerhin oder Mallarmé müsste man sich dessen
sicher sein, nicht wahr, Jules?
JULES
Was, wenn nicht 'Stil' den Ausschlag zu seiner Formulierung gab? Wenn ein Wort zwingend hart auf ein
andres folgen muss, aus Gründen des Inhalts, nicht der Form? — Obschon
es merkwürdig, holprig, in gewisser Weise 'unfranzösisch' klingt (und
sei es nur in den Ohren Jemandes mit dem Abschluß der Ecole supérieure
normale).
EDMOND
Würde ein französischer Stilist je einen 'unfranzösischen' Satz schreiben können?
JULES
Frag Gustave.
Aber denkst Du nicht, dass die Wörter nicht ohnehin so beschaffen sind,
wie sie sich — nach herkömmlichem (richtigem?) Gebrauch — genuin
in die Sätze fügen? Dass nicht die Bewegung der Zunge [langue] durch
die Wörter, sondern die Wörter durch die Bewegung der Zunge [langage]
sich haben prägen lassen — dass sie im Lauf von Jahrhunderten nicht
nur verschliffen, sondern aus den Artikulationen überhaupt aufgefangen
wurden, woraus sie dann ihre Definitionen erhielten? So ließe sich jedes
Wort als pars pro toto seiner Vermarktung
betrachten, nicht wahr, Edmond.
EDMOND
Dass Du alles so weltlich siehst, Jules.